Noch ein Nachruf
"Wir amüsieren uns zu Tode" - ahnte der US-amerikanische Soziologe Neil Postman vor 20 Jahren. Es ist ein lustvoller, ekstatischer und schleichender Tod, der uns erwartet. Denn die geistig Verhungerten unter uns machen keinen darbenden Eindruck. Sie werden auch das Ende der schwulen Presseschau klaglos hinnehmen, ja, nicht einmal bemerken. Im September erschien die definitiv letzte Ausgabe dieses seit 1972 erschienenen "Blick von außen auf Lesben und Schwule". Um genau zu sein: Auf Lesben erst seit 1995. Nun ist er also weggefallen, dieser leserfreundlich aufbereitete Blick über die deutsche Postille und einen Ersatz kann man sich gar nicht vorstellen. Zu genau war die Arbeitsweise, zu systematisch die Aufbereitung, zu sachlich der Stil. Monat für Monat zu lesen, was es im deutschen Blätterwald an schwul-lesbischem Rauschen gab - dieses Vergnügen ist keines mehr. Gründe für das Ende aber gab es viele: Der Wandel der Berichterstattung, das Alter der Initiatoren, die gesellschaftliche Normierung von Homosexualität. Die fehlenden Finanzen waren am Ende nur noch der Anlaß für den Weglaß. Mehrfache Aufrufe zu Spenden blieben folgenlos - zu vielfältig sind die kostenpflichtigen Verlockungen des Amüsements als Lebensstil. Postman's Vision vom Ende des vernünftigen Gemeinwesens wird durch das Ende der schwul-lesbischen Presseschau nicht entkräftet. Im Gegenteil.
Michael Heß
P.S. Wer eine vergnügliche und informative Lektüre für den herbstlichen Leseabend sucht, kann in der KCM-Bibliothek die letzten Jahrgänge ausleihen. Es lohnt sich wirklich. Vielen Dank auch an Jan Anderson (Münster) für die freundliche Weitergabe der Hefte an die KCM-Bibliothek.
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